Montag, 23. November 2015

postpoetry.NRW - Poesiebotschaften aus fünf Wettbewerbsjahren





Bislang erschienen die Preistexte des Lyrikwettbewerbs postpoetry.NRW auf gestalteten Postkarten, die in alle Welt gesendet werden konnten. 

Es liegt daher in der Natur der Sache, dass die verschickten Karten zum Nachlesen der Gedichte in der Regel nicht mehr zur Verfügung stehen. Mit Unterstützung des Kulturministeriums und der Kunststiftung NRW konnten nun die Texte der ersten fünf Jahre sowie weitere Gedichte in Buchform erscheinen. Die Anthologie stellt die Preisträgerinnen und Preisträger vor und ist um Textzugänge ergänzt.

Ein Buch für Lyrikinteressierte und für Vermittlerinnen und Vermittler von Literatur 
mit den Lyrikerinnen und Lyrikern:
Eva Boßmann, Christoph Danne, Dominik Dombrowski, Jürgen Flenker, Anke Glasmacher, Marius Hulpe, Bärbel Klässner, Marie T. Martin, Marcus Neuert, Jovan Nikolic, Hellmuth Opitz, Hermann-Josef Schüren, Manfred Sestendrup, Ralf Thenior, Walter Wehner, Christoph Wenzel, Liesel Willems, Gerrit Wustmann,
den Nachwuchsautorinnen und –autoren:
Henrik Achten, Jason Bartsch, Lea Beiermann, Anina Brell, Sirka Elspaß, Eva Freyschmidt, Sarah Gerwens, Apolonia Gottwald, Marvin Grabler, Lina Hacker, Gelieza Kötterheinrich, Verena Kra
Uä-pf, Anna-Kirstine Linke, Sandra Martelock, Lisa Möller, Nadine Müller, Franka Niebeling, Christiane Reinert, Anna Maria Reiter, Susanne Romanowski, Lara Theobalt, Isabel Trinh, Alexander Weinstock, Jenny Weiß, Rhea Winand, Jenny Winter
sowie den Mentorinnen und Mentoren:
Nika Bertram, Andrea Karimé, Sigrid Kruse, Jürgen Nendza, Ludwig Verbeek, Christa Wißkirchen.
http://www.editionvirgines.de/Products/107/73/postpoetry-NRW-Poesiebotschaften-aus-fuenf-Jahren.html

postpoetry.NRW - Poesiebotschaften aus fünf Wettbewerbsjahren, hrsg. von Monika Littau, Düsseldorf (Edition Virgines) 2015. 

Freitag, 13. November 2015

Nachwuchspreisträgerin postpoetry.NRW 2015

Jing Wu wurde 1995 in Tianjin (China) geboren und zog im Jahr 2000 mit ihrer Familie nach Deutschland, wo sie zunächst in Aachen, später in Dortmund lebte. Derzeit studiert sie in München Medizin. Bereits in ihrer Schulzeit verfasste sie Lyrik und erhielt im Dortmunder Literaturwettbewerb sowie dem Bundeswettbewerb für junge Dichterinnen und Dichter (lyrix) mehrfach Auszeichnungen. In Anthologien dieser Wettbewerbe wurden Texte von ihr veröffentlicht. Heute ist sie besonders im poetry slam aktiv.  

 Laudatio der jungen Jury
Jing Wus Gedicht „katzengold“  besitzt eine enge  Metaphorik, die sich im Besonderen mit dem Auge als Instrument der Wahrheitsfindung beschäftigt. Das Auge wird zu mehr als einem bloßen Sinnesorgan der Wahrnehmung. Es ist eng mit der Blindheit verbunden, sich im Leben nicht zurecht zu finden. Wie lerne ich die Wahrheit zu verstehen und zu akzeptieren ohne von ihr enttäuscht zu werden? Hilft es uns tatsächlich immer mit offenen Augen durchs Leben zu gehen? Jing Wus Gedicht stellt auf originelle Art und Weise die Schwierigkeiten dar, sich im Leben zwischen Wahrnehmung, Täuschung und Enttäuschung zu orientieren.

Nachwuchspreisträger postpoetry.NRW

Sascha Nikolskyy wurde 1993 in Charkiv/Ukraine geboren. Im 10. Lebensjahr siedelte er mit seiner Familie nach Deutschland über, wo er heute in Bonn lebt und Mathematik studiert. Seit seinem 18. Lebensjahr konzentriert er sich auf das Schreiben von hauptsächlich lyrischen Texten.  

















Laudatio der jungen Jury
Das lyrische Ich im Gedicht von Sascha Nikolskyy durchlebt 11 Jahre lang einen außergewöhnlichen Zustand. Dieser ist einerseits geprägt durch das „kilometerweite“ Aufreißen des Mundes, andererseits durch das Vergessen des Gesagten und schließlich durch das Schweigen. An nichts kann es sich orientieren als am „Jahresflug der Vögel“. Das Verstehen ist belastet von „Beleidigungen“, die es hört, und seine Zunge sind „Bordsteine, die Umgrenzungen“ setzen. Der Wahrnehmungszustand des Hörens („meine Ohren waren Muscheln (…) waren Kleiderbügel für den Mantel der Erde“), und des Versuchs, „richtig zu riechen“, führen zu einem allumfassenden Vergessen, zum Schweigen, ja zum Verlust der eigenen Identität („ich war keiner“).
Zwanghaft tritt ein Prozess der Retardierung ein („ich konnte nicht umhin um mich aus allen Öffnungen herauszuzögern“). Dann jedoch scheint das lyrische Ich sich einer Selbstoperation zu unterziehen, sich bewusst eine Haltung implantieren zu wollen. Waren es zu Beginn des Gedichtes die Vögel, die mit ihrem Jahresflug Orientierung gaben, so nennt sich der Protagonist des Textes am Ende selbst einen Vogel. Ob der Verfasser des Textes mit diesem Symbol Freiheit und Ungebundenheit assoziiert, oder nun selbst zu einem, bzw. seinem Orientierungspunkt geworden ist,  bleibt offen.
Sascha Nikolskyy gelingt es in einem surrealen Bildraum, den Zustand einer 11 jährigen Kommunikations- und Sprachunfähigkeit, ja tiefsten Verstörung darzustellen, der jedoch durch eine bewusste Änderung der eigenen Haltung am Ende auf eine neue Ebene gehoben und möglicherweise aufgelöst werden kann.  Er greift damit ein höchst aktuelles Thema auf und geht der Frage nach, welche Traumata die Zuwanderung in einen zunächst völlig fremden Sprachraum verursachen kann.   

Nachwuchspreisträgerin postpoetry.NRW 2015

Charlotte Dresen wurde 1995 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur reiste sie durch Europa (mit einem längeren Aufenthalt in Madrid) sowie Argentinien und Chile.
Heute lebt sie in Köln und studiert dort an der Universität Biochemie.







Laudatio der jungen Jury
Charlotte Dresen nimmt uns in ihrem Text „Schokoküsse“ mit auf einen besonderen „Trip“ zur Universität.
Wie Alice im Wunderland bewegt sich ihr lyrisches Ich durch eine Welt, in der alles essbar zu sein scheint. „Knautschzonen“ von Autos, die von Gummibären gesteuert werden, sind aus Zuckerwatte, Fahrradreifen aus Lakritze,  Blut ist nichts weiter als Himbeermark und selbst das Papier ist Esspapier. Psychedelisch tanzt der Eismann, obwohl sein Eis dahin schmilzt.

Die Welt ist ein surrealer Süßwarenladen. Menschliche Beziehungen definieren sich über ihr Verhältnis zum  Zucker,  Gefühle werden von ihm ausgelöst oder sogar ersetzt (Schokoküsse). Zwanghaft wird „der süße Wahnsinn“ weiter mit Glukose gefüttert. Mit der Allgegenwärtigkeit des weißen „süßen Stoffs“ kritisiert die Autorin sein Suchtpotential,  das - wie wir wissen - Ursache vieler Zivilisationskrankheiten geworden ist.

Nachwuchspreisträgerin postpoetry.NRW 2015

Sarah Marie Meinert wurde 1995 in Lemgo geboren, lebt heute in Oerlinghausen und studiert in Bielefeld Anglistik, math./sprachl. Grundbildung (Grundschullehramt).  Sie 
war 2014 Preisträgerin beim Berliner Treffen junger Autoren.



Laudatio der jungen Jury

Sarah Marie Meinerts Gedicht gelingt es mit erstaunlich wenigen Worten eine dichte Gefühlswelt aufzubauen, die zwischen träumerischer Erregung und bedingungslosem Vertrauen rangiert. Der besondere Reiz des Gedichts entsteht durch die Ausklammerung aller Empfindungen und ihre Verlagerung in die Vergangenheit. Das Unsagbare wird erinnert und zugleich allerdings auch vorenthalten. Auf diese Weise bringt "Fast ein Liebesbrief" die Hürde Empfindungen  auszudrücken auf den Punkt, ohne dabei sentimental zu erscheinen. Was führt dazu sich blind auf einen anderen Menschen zu verlassen? Wie viel von uns sind wir bereit zu offenbaren? Das Gedicht gibt keine Antwort hierauf. Doch es vermittelt einen Eindruck dessen, was wir durch Zuneigung bereit sind zu geben. 

Preisträgerin postpoetry.NRW 2015

Karin Posth wurde 1945 in Marienbad/Tschechien geboren und lebt heute nach vielen räumlichen Veränderungen in Köln. Ab 2010 begann sie intensiv zu malen und Lyrik zu verfassen. 2013 erschien ihr erster Gedichtband "DER HIMMEL IST KEIN GESCHENK“. In den vergangenen Jahren wurde sie für ihre lyrischen Texte mehrfach ausgezeichnet. So war sie zweimal in der engeren Auswahl zum Feldkircher Lyrikpreis (AT). Ihr wurden Preise u. a. beim Haiku-Wettbewerb der österreichischen Haiku Gesellschaft und beim Mindener Literaturwettbewerb zugesprochen. 

Laudatio der Jury
Auf eine ganz besondere Reise schickt uns Karin Posth mit ihrem Gedicht „auf der reise zu sich“. Ihr Geliebter ist unterwegs mit seiner Frau. Nach nur 4000km denkt er an seine Liebe und wirft an sie eine Ansichtskarte in ny älesund in den nördlichsten Briefkasten der Welt. Es ist keine schöne Ansicht, die er der Daheimgebliebenen zuschickt. Eine Zahnreihe schwarzer Stümpfe kommt zwischen den Lippen von Wasser und Himmel zum Vorschein.
Und er schreibt der Geliebten die vier Worte „ich liebe dich sehr“ auf die Rückseite der Karte. An diesem Punkt verändert sich das Gedicht, die Bilder werden weicher. „Die natur ist eine raue haut, doch sie wärmt den boden der seele“ und „die wolken (…) legen ihre samtigen pfoten aufs meer“. In dieser Stille ist der Geliebte unterwegs zu sich, mit ihm sind es 17 Nationen, „im schlepptau nichts weiter als kälte du wind“. Man ahnt, er ist angekommen.
Die lakonische Art, mit der diese Liebe beschrieben wird, der Kontrast von nordskandinavischer Kargheit und Kälte zu den starken Emotionen, die thematisiert werden, machen den Reiz dieses Gedichtes aus.

Mit leichtem Frösteln lassen wir uns gern auf diese poetische Reise mitnehmen.

Preisträger postpoetry.NRW 2015

Adrian Kasnitz wurde 1974 in Queetz (Polen) geboren und wuchs in Lüdenscheid auf. Er lebt heute als Schriftsteller, Herausgeber und Verleger in Köln. Der Autor ist besonders durch seine zahlreichen Lyrikveröffentlichungen bekannt. Zuletzt erschienen "Sag Bonjour aus Prinzip" und "Kalendarium #1". Er verfasst aber auch Prosa (u. a. den Roman "Wodka und Oliven"). Seine literarische Arbeit wurde mit Stipendien und Preisen ausgezeichnet. So erhielt er u. a. den Förderpreis der Gesellschaft für Westfälische Kulturarbeit (GWK) und das Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln.


Laudatio der Jury 
Für das Subjekt dieses Gedichts, das staunende Kind, das die Außenwelt hinter der Glasscheibe beobachtet, ist die Welt in unablässiger Verwandlung. Adrian Kasnitz zeigt uns ein Kind, an dem die Welt in vielerlei Gestalten vorbeizieht, unheimlich nah. Die magische Erfahrung wird zum poetischen Fundament, die Metamorphosen der Dinge und Gestalten werden von seinen „wässrigen Augen“ mit generiert. Mit den Augen, heißt es, fährt das Kind Schiff, und auch die von ihm beobachtete stoffliche Welt wird fluid. Die Phantasie des Kindes erlaubt es, in Kostüme zu schlüpfen. Und am Ende dieses poetischen Verwandlungsspiels wird die Bewegung ins Offene zurückgenommen, die Welt „schrumpft zusammen“.
Das Gedicht von Adrian Kasnitz nimmt in seiner fließenden Bewegung selbst Teil an der Metamorphose. Es schaut in die Außenwelt – und wird zugleich der Vergänglichkeit gewahr, die in Gestalt zweier unterschiedlicher Skelette bedrohlich präsent ist und alle Sicherheiten aus den Angeln hebt. Ein Gedicht, das uns in die Kindheit führt wie auch ans Ende der Zukunft, wo wir zu Staub werden und die Knochen zart im Staub liegen.





Preiträger postpoetry.NRW 2015

Thomas Kade wurde 1955 in Halle (DDR) geboren. Er zog 1961 mit seiner Familie ins Ruhrgebiet, wo er seit 1980 in Dortmund lebt und arbeitet. Er veröffentlicht insbesondere Lyrik. Zuletzt erschien in der Reihe "roterfadenlyrik" (EditionHausNottbeck) „Körper Flüchtigkeiten“. Ausgezeichnet wurde seine literarische Arbeit u. a. durch Stipendien der Kunststiftung und des Landes NRW. 


Laudatio der Jury
Die übermäßige, schwärmerische Verehrung, das „Anhimmeln“ eines Idols, eines Vorbilds, einer Geliebten oder eines Geliebten – das geht in Gedichten meistens schief, führt zu lyrischem Überschwang ohne Substanz. Im Gedicht von Thomas Kade entwickelt das Wort „anhimmeln“ eine neue semantische Strahlung, eine große Verstörungskraft. Denn sein Text führt in den engsten Raum, in eine Zelle, an einen Ort, wo die Luft knapp wird und der Atem stockt und die Wörter und das Sprechen kaum Platz haben zur Entfaltung. „Angehimmelt“ wird „die Stelle“, „angehimmelt“ wird auch „die Stille“, ein „heller Fleck“. Ein Ort der Enge, von dem aber zugleich Helligkeit ausgeht, ein Ort, der eine Aura hat, ein Ort, an dem jemand anwesend war, den man nicht mit einem Stein, sondern mit einem Stern bewerfen will.

Mit einem lyrischen Verfahren konzentrierter Engführung, mit einer kaleidoskopischen Verknüpfung der Wörter und virtuosem Sprachspiel schickt uns Thomas Kade seine „Zellmitteilung“. 

Preisträger postpoetry.NRW 2015

Guy Helminger,  geb. 1963 in Esch/Alzette (Luxemburg), lebt als freier Autor seit 1985 in Köln. Er  schreibt Lyrik, Romane, Kinderbücher, Hörspiele sowie Theaterstücke. Zuletzt erschienen:  "Libellenterz" (Gedichte), "Ein Sprachanatom bei der Arbeit" (Dokumentation seiner Poetikvorlesungen an der Universität Essen/Duisburg) und "Venezuela" (drei Stücke). 

Für seine Arbeiten wurde er vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem 3SAT-Preis (Klagenfurter Literaturtage).



Laudatio der Jury
„Ich war nie in Tokio“ von Guy Helminger entfaltet einen Spannungsraum zwischen Ferne und Nähe, zwischen Fremdheit und Anverwandlung: Ein – westliches – lyrisches Ich, das sich mit Zurückhaltung („Meine Haare haben die Farbe von/eingelegtem Ingwer die Haut bleich/wie Reispapier“) und einer Spur Selbstironie („Mishima im Bambusregal und das/als Haiku angelegte Blumenbeet/in Reichweite“) als wenig markant beschreibt, gewinnt in der Gegenüberstellung mit Japan Kontur und dramatische Potenz. Mit ausgewählten, genau platzierten Signalen evoziert Helminger einen Kosmos japanischer Kultur („Reispapier“, „Mishima“, „Haiku“, „Samuraischwert“), doch bleibt er bei aller Einschlägigkeit der Begriffe elegant und pointiert. Gänzlich frei von Exotismus, hebt er im Verweis auf die Strenge der Ziergärten, auf Scherenschnitt, Schwertkampf und die Provokation eines Mishima Schärfe und Rigidität hervor. Dabei gelingt ihm, Reduktion und Härte dieses Kosmos´ in Form und Rhythmus des eigenen Textes zu spiegeln. Dass Helminger mit seinem Titel der Spagat zwischen Formstrenge und Udo Jürgens gelingt, befreit den Text auf unkonventionelle und bewunderungswürdig leichte Weise. „Ich war nie in Tokio“ birgt feinen Humor ebenso wie ungelöste Rätsel und  hat die Jury auf Anhieb überzeugt. 

Preisträger postpoetry.NRW 2015

Willi Achten stammt gebürtig aus Mönchengladbach und lebt heute in Aachen. Er ist Lyriker und Romanautor. Zuletzt erschien von ihm "Die florentinische Krankheit" (Roman). Für seine Arbeiten erhielt er viele Unterstützungen und Auszeichnungen, zuletzt den Nettetaler Literaturpreis.  

Laudatio der Jury
Willi Achten entwirft in seinem Gedicht „Dahinter das Meer“ kühne surreale Bilder, die den Leser in seinen Bann ziehen. Das Gedicht kommt fast ohne Interpunktion aus. Die Enjambements und die klanglichen Elemente geben dem Text eine zusätzliche Spannung. Der Leser muss sich die Sinneinheiten selbständig erschließen.
Da ist die Mutter, die spricht. Sie sagt „niemand war im Himmel/ wenn die Uhr tickt kehrt keiner/ zurück“. Dabei schneidet sie die Töne aus den Wänden und wohnt hinter einem Vorhang, wo sie ihre Knochen an einer Feile reibt. Das Knochenmehl fällt in ein weißes Tuch, während sie ihren einzigen Schuh bindet.
Die Mutter ruft ihren Sohn zurück zu sich nach Hause. Und während sie ihn ruft, eröffnet sie ihm, dass sie Sand in die Dünen gekehrt hat.

Es wird viel versteckt in diesem Gedicht, hinter Wänden und Vorhängen. Man ahnt die Abgründe. Doch mit dem Knochenmehl, dem weißen Tuch und dem Sand in den Dünen wird etwas sichtbar. Dahinter wartet das Meer für einen Blick ins Offene.

Lyrikerinnen und Lyriker 2015 - die Postkarten

(Grafik: Galya Popova, Layout: Walburga Fichtner)

Nachwuchs 2015 - die Lyrikpostkarten

(Grafik: Galya Popova, Layout: Walburga Fichtner)





Donnerstag, 12. November 2015

Publikumspreis 2015


Der Publikumspreis 2015 ging an den Nachwuchsautor Giuliano Francesco Spagnolo.

Er wurde 1994 in Luino (Italien) geboren. Im Jahr 2000 zog er mit seiner Familie nach Deutschland. Derzeit lebt und studiert er Köln. Erste Gedichte veröffentlichte er im vergangenen Jahr in der Anthologie "Mein wilder Kampf gegen die Angst" (elifverlag).












Zu seinem Gedicht, äußerte sich die junge Jury wie folgt:

Ausgangspunkt des Gedichtes von Giuliano Francesco Spagnolo ist ein nicht näher bezeichneter Schmerz, dem „bleiche“ beigemischt ist.  Das so dargestellte Abklingen des Leids, seine Transformation, vollzieht sich vor dem Hintergrund einer Sonne, die nicht Wärme bringt, sondern  „fröstelt“. Ihre übliche Wirkweise ist außer Kraft gesetzt, ja ins Gegenteil verkehrt. 
Auch die folgende Zeile widmet sich dem Verhältnis von Vordergrund und Hintergrund („die felder waren nur vordergründig mit blüten betupft“). Wir werden Zeuge eines Transformationsprozesses, der in die Gegenwart führt und durch eine „geweißt(e)… leinwand“ charakterisiert wird, eine Freifläche, die „auf abruf bereit“ steht.
Auf ihr entsteht eine „neue“, nicht näher bezeichnete „landschaft“, die nicht mehr trennt zwischen Vorder- und Hintergrund, sondern sich von der Mitte aus entwickelt. Nicht das Äußere begrenzt das Bild, sondern das Bild bestimmt seinen Rahmen, seine Grenzen, die „rahmenlängen“.

Im umrissenen Bildraum Natur - Malerei gelingt es dem Autor, eine Metapher für die Entwicklung des nur spärlich angedeuteten lyrischen Ichs, seiner Genesung und seines Neuanfang zu zeichnen. Hier findet in gelungener Weise eine Verortung in der Mitte, eine „neumessung“ statt. Giuliano Francesco Spagnolo legt uns nahe, dass „Die Vermessung der Welt“ nie abgeschlossen ist, sondern sich immer wieder neu vollzieht, justiert, ja transformiert. 

Mittwoch, 11. November 2015

postpoetry.NRW 2015: die Preisverleihung in Bonn

Ein Rückblick von Gerrit Wustmann

Am 7. November fand in der Bonner Zentralbibliothek im gerade neu eröffneten Haus der Bildung vor vollem Saal die diesjährige, sechste postpoetry.NRW-Preisverleihung statt. Einmal mehr wurden fünf etablierte und fünf Nachwuchs-Dichterinnen und Dichter ausgezeichnet und erstmals öffentlich die neuen Lyrikpostkarten präsentiert, die hoffentlich in den nächsten Wochen und Monaten vielfach durchs ganze Land und auch über die Grenzen hinweg versendet werden.

Grenzüberschreitende sind übrigens auch die diesjährigen Preisträgerinnen und Preisträger nicht nur im übertragenen Sinne. Die Hälfte von ihnen ist nicht in Deutschland geboren, sondern in Polen, Luxemburg, China, Italien und der Ukraine und somit in die deutsche Sprache mit dem Reichtum anderer sprachlich-kultureller Zusammenhänge „eingewandert“.

Durch den Abend geleiteten die Schriftsteller Monika Littau und Jürgen Nendza. Musikalisch ergänzt wurden die Wortbeiträge vom Klezmerduo Brinkmann & Spehl.

Die Moderatoren sprachen mit den zehn Dichterinnen und Dichtern über ihre Arbeit, aber auch über Einflüsse und ganz persönliche Sichtweisen auf die Lyrik, bevor diese ihre Texte vortrugen. Mit Guy Helminger, Adrian Kasnitz, Willy Achten und Thomas Kade gab es dabei interessante Einblicke von Künstlern, die längst über NRW weit hinaus Erfolge feiern konnten – während Karin Posth erst seit kurzer Zeit in der Literaturszene präsent ist. Das zeigte einmal mehr den Charakter eines anonymen Wettbewerbs: Hier haben Autorinnen und Autoren unabhängig von der bereits erreichten Reputation eine gleichberechtigte Chance.
Willi Achten, Guy Helminger, Thomas Kade, Adrian Kasnitz, Karin Post (von l. nach r.)
Auch die Nachwuchsautorinnen und -autoren Charlotte Dresen, Sarah Marie Meinert, Sascha Nikolskyy, Giuliano Francesco Spagnolo und Jing Wu bewiesen Talent und lyrischen Atem.
Der diesjährige Publikumspreis ging an den heute in Köln lebenden, gebürtig aus Lino (Italien) stammenden Giuliano Francesco Spagnolo für sein Gedicht „neumessung“.
Charlotte Dresen, Sarah Marie Meinert, Sascha Nikolskyy, Giuliano Francesco Spagnolo, Jing Wu (von l. nach r.)
Wie gut die Preisträgerinnen und Preisträger untereinander ins Gespräch kamen, zeigte sich bereits am Montag nach der Preisverleihung: Die Nachwuchspreisträger Charlotte Dresen und Giuliano Francesco Spagnolo traten im von Adrian Kasnitz geleiteten Literaturklub in Köln bei einer gemeinsamen Lesung mit dem Schriftsteller Stefan Heuer auf.

Und es gibt weitere Veranstaltungen Anfang kommenden Jahres, jeweils im Tandem: Lyriker – Nachwuchsautor. Bis dahin soll das Textrepertoire der jungen Autorinnen und Autoren erweitert und überarbeitet werden. Für die Zusammenarbeit in den kommenden Monaten wünsche ich Erfolg und bin besonders gespannt auf den weiteren Weg der Nachwuchsdichterinnen und -dichter.