Mittwoch, 10. Dezember 2014

Preisträgertexte und Preisträger 3: Jürgen Flenker


Würdigung:
Die Liebe ist eigentlich eine ganz einfache Sache. Deswegen ist es meist so kompliziert. In seiner »romanze« spielt Jürgen Flenker ein raffiniertes Spiel mit unseren Erwartungen. Aus der Ich-Perspektive werden wir Zeugen einer besonderen Begegnung: Das lyrische Ich beobachtet durch die getönte Scheibe eines Zugabteils eine Frau auf dem Bahnsteig, »allein wie in erwartung von etwas / an das sie nicht glaubte«. Sie schaut ihn direkt an und weiß nichts davon. Etwas Großes liegt in der Luft: Aus einer Zufallsbekanntschaft könnte die schicksalhafte große Liebe erwachsen. Diese beiden Menschen waren dazu bestimmt, sich an diesem Tag zu dieser Stunde an diesem Ort zu treffen – oder doch nicht? Verlassen wir uns da etwa zu sehr auf die narrativen Muster, die in unserem Gedächtnis deponiert sind? Schon die dritte Strophe lässt uns zweifeln, mit »gesammelten verspätungen« und »frostschäden« und »rissen«. Und wenig später wissen wir, dass die Begegnung so folgenlos bleiben wird wie hundert andere an diesem Tag. Der Zug ruckt.

Jürgen Flenker (Jg. 1964) aus Münster veröffentlicht Lyrik und Prosa. Zuletzt erschienen der Lyrikband „das argument der kletterrosen“, Erzählungen unter dem Titel „Aufbrüche“ und der Roman „Ebers Ende“. Für seine Lyrik wurde er bereits 2013 beim Münchner Lyrikpreis ausgezeichnet 


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