Dienstag, 28. Januar 2020

Zum Beispiel "Großmütter" im Gedicht...Zur Lesung von Karoline Marliani und Ingeborg Brenne-Markner in der Elisabeth-Selbert-Gesamtschule Bonn am 23. Januar 2020

Es war ein Zufall, dass die zwei Postpoetry-Jurys 2019 zwei Gedichte auswählten, die Großmütter in den Mittelpunkt des Erinnerns stellen. Und es war in gewisser Weise ein weiterer Zufall, dass die beiden Verfasserinnen dieser Texte gemeinsam an einer Lesung mitwirkten. Ingeborg Brenne-Markners Gedicht heißt „in großmutters sommer“, der Text von Nachwuchsautorin Karoline Marliani „Kinderreue“. 
 Obwohl beide Texte also ein ähnliches Sujet haben, nähern sie sich ganz unterschiedlich ihrer Hauptperson. Das stellten auch die Oberstufenschülerinnen und -schüler der Elisabeth-Selbert-Gesamtschule in Bonn Bad Godesberg fest, wo nun die von Simone Scharbert moderierte Lesung der Preisträgerinnen stattfand. Rege beteiligten sie sich mit ihren vielen Fragen am Geschehen dieses Morgens. „Warum wechseln die Zeiten in Ihrem Gedicht?“, wollte eine Schülerin wissen. 
Das eine, erklärte Lyrikerin Brenne-Markner, sei das vergangene Geschehen, das andere die Erinnerung und ihre Auswirkungen bis in die Gegenwart. Auch nach dem Tod der Großmutter und dem Ende der Kinderzeit blieben nicht nur die Trauer, sondern auch das Schöne im Gedächtnis, beispielsweise der Himbeersirupduft, beispielsweise die Leichtigkeit der Federkugeln des Löwenzahns. Genau diese Qualität hatte auch die Jury bei ihrer Textauswahl hervorgehoben: „…der Textraum des Gedichts (vermag) auf beglückende Weise beides zu bergen: das Glück und den Verlust.“ 
Ganz anders war der Zugriff auf das Großmutterthema von Karoline Marliani. Sie griff in ihrem kurzen Gedicht eine kleine Szene auf, in der die Großmutter versehendlich das Enkelkind an einer mit Schnodder verschmierten Stelle küsst. „SCHMACK“. Das Kind fühlt sich unwohl, ja schuldig für diese Situation. Für Marliani spielen Reim und Rhythmus ihrer Texte eine herausragende Rolle. Das – so erklärte sie den Schülerinnen und Schüler – komme daher, dass sie von früh auf Musik gemacht habe und Gedichte seien eben auch eine Form von Musik. Außer Lyrik schreibt die junge Autorin, die derzeit in Köln studiert, auch Prosa, u. z. „Dark Fantasy“. Nach fünf Jahren sei ihr erster Roman nun endlich fertig gestellt. Das Schreiben sei für sie immer wichtig gewesen. Sie habe schon Geschichten diktiert, ehe sie überhaupt die Buchstaben erlernt habe.

Durch den lebendigen Morgen führte Autorin und Lyrikerin Simone Scharbert, die u. a. Lyrik an der Universität Köln unterrichtet. Sie wusste die Schülerinnen und Schüler wunderbar ins Geschehen einzubinden. Es war ein Morgen „ohne Gewicht“ (I. Brenne-Markner in einem Gedicht), der zugleich sehr gewichtig war, führte der doch  an Schreibweisen von Gegenwartslyrik und Ansatzpunkte des Verstehens heran.




Freitag, 24. Januar 2020

Von, mit, durch oder für Lyrik leben? Lesung und Gespäch mit Josephine Kullat und Johanna Hansen in der Stadtteilbibliothek Dortmund-Scharnhorst



Am 22. Januar 2020 waren zwei der diesjährigen PreisträgerInnen des Wettbewerbs postpoetry.NRW zu Gast in Dortmund-Scharnhorst und lasen vor circa 90 Schülerinnen und Schülern der Albert-Einstein-Realschule.   

Josephine Kullat, die abwechselnd in Essen und Ostfriesland aufwuchs und heute in Düsseldorf Psychologie studiert, las nicht nur ihr Preisgedicht „Vater“, sondern weitere Texte, in denen der bittere „Nachgeschmack der Kindheit“ und das Leben „Unterm Schutt(z) der Sozialisation“ eine Rolle spielten. Sicher sprach sie von  Verunsicherungen, las von „Selbstfindung“  und „Selbsterfindung“, von Liebe und Sehnsucht und auch von der Unfähigkeit zu lieben und den Schatten, die bleiben.


Auch Lyrikerin Johanna Hansen aus Düsseldorf wandte sich in ihren Texten der Kindheit und dem Aufwachsen am Niederrhein zu. Sie erinnerte sich an den „roten Schienenbus“, der die Flucht, ja den Abschied aus der Kindheit möglich zu machen schien. Auch das innere Verschwinden spielte im Deklinieren der Fluchtmomente eine Rolle: „sobald ich den blick auf endlos stelle, bin ich die vielen flugversuche darin, der schleudergang. der luftzug. der die kellertür klappen ließ“. Ins Gedächtnis und in die Gedichte fanden die Hochwasser am Niederrhein, die Sonntage, an denen "anna", die Großmutter, „die hände hochgeschlossen über die sorgen wie über frisch gebügelte erde“ trug.  

Thorsten Trelenberg, Moderator des Morgens, versuchte u.a. die unterschiedlichen Entstehungsbedingungen der Gedichte und Arbeitsmethoden der Autorinnen herauszufinden. Einprägsam beschrieb Johanna Hansen, die nicht nur mit Sprache arbeitet, sondern auch als bildende Künstlerin mit Farbe und schließlich in der von ihr herausgegebenen Literaturzeitschrift „Wortschau“ Bild und Sprache zusammenbringt,  dass die verschiedenen Künste für sie alle Teil einer Wohnung seien. Wenn die eine Sprache im Erfassen nicht weitertrage, wechsele sie den Raum und versuche es in der anderen.  

Ob man von der Lyrik leben könne, fragte  der Moderator.

„Nicht von der Lyrik“, lächelte Johanna Hansen, „ sondern für die Lyrik“.

 Erst nach der Lesung in kleiner Runde oder im Zwiegespräch trauten sich die Schülerinnen und Schüler ihre Fragen zu formulieren. „Wie groß sind Sie eigentlich, Frau Kullat?“, wollte ein Mädchen wissen, „Was ist Fleischnikotin?“, fragte sie ein Junge. Und „Wie machen Sie das überhaupt mit dem Schreiben“, wandte sich ein dritter an Johanna Hansen.

Sonntag, 12. Januar 2020

Schriftsteller und Mitbegründer der Gesellschaft für Literatur in NRW e.V. Josef Reding starb am 10. Januar 2020 in Dortmund


Als ich in diesem Jahr einer 95jährigen Dame Weihnachtsgrüße schicken wollte - sie hatte sich Geschenke ausdrücklich verbeten - überlegte ich, was ich ihr schreiben könnte. Sie hatte ein schweres Jahr hinter sich, in dem ihre Tochter, die sich bislang um sie kümmerte, selbst erkrankt war. Es sah so aus, als ob dieses Weihnachtsfest gänzlich anders verlaufen sollte als die vielen Jahre zuvor. Ich wollte ihr gute Worte schenken und überlegte, dass ich sicherlich bei Josef Reding fündig werden würde. So schlug ich seinen Band „Kein Platz in kostbaren Krippen auf“ und wählte keine Kurzgeschichte aus, sondern den Schlussteil: „Statt eines Nachworts: Lebte Jesus nur ein paar Stunden?“