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Montag, 21. November 2016

postpoetry.NRW zeichnete zum siebten Mal Gedichte von NRW-Lyrikern und -Nachwuchsautoren aus

Von Caroline Dohmen

Zehn farbig gestaltete Postkarten, bedruckt mit Gedichten, die dazu einladen, sie in die Welt hinauszuschicken: Ein ganz traditioneller Kommunikationsweg, durch den Lyrik eine größere Leserschaft finden soll. Bei den Gästen der siebten postpoetry.NRW Preisverleihung schien die Idee anzukommen. Sie verließen die Veranstaltung nicht selten mit einem bunten Kartenstapel.

Am 12. November 2016 zeichnete die Gesellschaft für Literatur in Kooperation mit dem Verband deutscher Schriftsteller je fünf Lyriker und Nachwuchsautoren als Gewinner des Lyrik-Wettbewerbs im Rahmen einer öffentlichen Verleihung in der Stadtbibliothek Essen aus. Das Projekt postpoetry, finanziell unterstützt vom Land Nordrhein-Westfalen und der Kunststiftung NRW, gibt sowohl bereits etablierten Lyrikerinnen und Lyrikern sowie auch jungen Autorinnen und Autoren, ein Forum zur Verbreitung ihrer Gedichte und zum Austausch über ihre künstlerische Arbeit. Es leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Lebendigkeit der Lyrikszene, fördert die Autoren gezielt und lädt gerade junge Menschen ein, sich mit Lyrik zu beschäftigen.
Dieser Einladung sind im Rahmen der Preisverleihung und Lesung viele Menschen gefolgt.

Samstag, 19. November 2016

Preistexte Nachwuchs - Meike Wanner



















Laudatio zu Meike Wanners Gedicht „Im Treibhaus“
Im Spiel mit der Redewendung „im Glashaus mit Steinen um sich werfen“ zeichnet Meike Wanner ein etwas anderes Familienportrait: stellt das Treibhaus die Familie zunächst im wahrsten Sinne als eine Art Mikrokosmos oder Schutzraum dar, in dem ein Kind aufwachsen und gedeihen soll, wird schnell deutlich, dass dieses Gewächshaus anders ist. Das Treibhaus besteht nämlich aus „väterlichem Panzerglas“, stabil genug, um die Familie zusammenzuhalten und einen Ausbruch daraus zu verhindern, ironischerweise kann es aber keinen (Wut-)Ausbruch innerhalb der vier Wände aufhalten. ...

Preistexte Nachwuchs: Thang Toan Nguyen - Publikumspreis 2016


















Laudatio zu „Kreuzworträtsel“ von Thang Toan Nguyen
Thang Toan Nguyen führt uns mit seinem Text in eine Situation, in der das Ich des Gedichts sowohl mental als auch kognitiv unentschlossen, ja widersprüchlich gestimmt wirkt, auf jeden Fall nicht ganz bei der Sache ist, die es vorgibt zu tun, nämlich ein Kreuzworträtsel zu lösen. „Stehend pendelt der Stift“.
Das Ich nimmt die vorgestanzten Buchstabenkästchen nicht richtig wahr, scheint dies auch gar nicht zu wollen, denn für „Muster“ und „Wissenprediger“ fehlt ihm das Interesse.
Stattdessen unterläuft der Schreibende die Vorgaben und lässt seiner Kreativität freien Lauf, ignoriert Frakturen und notiert stattdessen Neologismen.

Preistexte Nachwuchs NRW: Tamara Malcher


















Laudatio zu „kletterbäume auf den zungen“ von Tamara Malcher
In „kletterbäume auf den zungen“ fängt Tamara Malcher den Augenblick ein, in dem eine neue, fast schon aufgegebene Beziehung beginnt. Obwohl man kaum etwas über das Paar weiß, entwirft die Autorin mit bloßen Andeutungen ganze eine Szene, die sich wie von allein im Kopf des Lesers vervollständigt. Es ist die Rede von einer fünften Zigarette, es scheint also schon ein längeres Gespräch vor dem Haus zu sein, das die beiden führen. Und dennoch wird das lyrische Ich weder hineingebeten noch weggeschickt, sodass es die Hoffnung auf eine Beziehung schon zu Beginn des Gedichtes mit dem Zaunpfahl begräbt. Mit einer Leichtigkeit nimmt Tamara Malcher Sprachbilder aus der Garten-/Naturwelt und setzt sie ein in einen neuen und ganz eigenen Kontext, der hier auch von einer augenzwinkernden Melancholie geprägt ist: „in zeiten des bienensterbens ist es schwer//ein selbstportrait mit bienenschwarm zu malen“ heißt es da zum Beispiel. Mag man ...

Preistexte Nachwuchs NRW: Marie Illner

Laudatio zu Marie Illners Gedicht „Oder?“
Marie Illners Gedicht „Oder“ spricht den Leser auf Anhieb durch seine Aktualität an und lenkt behutsam den Blick auf humanitäre Katastrophen der Gegenwart.
Die ersten drei der insgesamt vier knappen Strophen vermitteln durch ihren einfachen und parallelen Aufbau den Eindruck großer Monotonie. Phänomene wie „Lärm“, „Regen“ und „Feuer“ werden im Hinblick auf ihre Wahrnehmung durch Menschen, die sich mit geschlossenen Augen in unmittelbarer Nähe befinden, thematisiert. So heißt es etwa lakonisch:
„Neben Lärm
Ist es laut
Auch mit geschlossenen Augen“
Die zunächst trivial wirkenden Feststellungen zu Sinneswahrnehmungen von Feuer, Lärm und Regen, werden jedoch in der vierten und letzten Strophe in ein neues Feld geführt. Gegenstand sind hier „Zäune“ und die Frage, was hinter Zäunen geschieht. Hier wird ein latentes Wissen abgerufen, dass „Auch mit geschlossenen Augen“ im Bewusstsein abgerufen werden kann.
Der hierbei evozierte mögliche Zusammenhang zwischen „Zäunen“ und „Leid“ kann vom Menschen als einem fühlenden Wesen, das auch Naturereignisse wie „Feuer“ durch bloße Wärme erahnen kann, nicht geleugnet werden. Er muss das Leid nicht erst sehen,...
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Preistexte Nachwuchs NRW: Felix Güßfeld

Laudatio zu „Großraum.büro“ von Felix Güßfeld
Das Gedicht „Großraum.büro“ von Felix Güßfeld sticht besonders aufgrund seiner Metaphorik hervor. Anhand des Bildes einer Spinne, die als „Netzwerk-Weberin“ die Kontrolle über ihr Umfeld geschickt auszuüben weiß, gelingt es dem Autor, die Kälte und das Kalkül eines alles kontrollierenden „Machtmenschen“ im Arbeitsalltag eines Großraumbüros darzustellen. Die Machtstrukturen versucht die Spinne als mörderische Fallenstellerin („hungrige Mördergruben“) zu erhalten, indem sie Mitarbeiter und Kollegen durch ihr breit gespanntes „Netz“ einzufangen und „auszusaugen“ versucht.
Das Großraumbüro ist so sehr durch die Dominanz dieser Spinne beherrscht, dass sich die Situation nicht nur als krank oder krankmachend darstellt („Netzwerk-Diabetes“), sondern jegliches Leben und Überleben ersterben lässt („Ein All in dem nichts kreist“). Der Spinne - und somit gleichsam dem „Machtmenschen“ - dient sein Netz als Mechanismus zur Selbsterhaltung, während die darin gefangenen Fliegen zu Atomen „toter Elektronen“ degradiert werden.
Der Text überzeugt in seiner sprachlichen Stringenz und konsequenten Konstruktion auf drei Bildebenen (Großraumbüro, Spinnennetz, All). Diese werden zudem perspektivisch gebrochen („Eine Fliege, frisch geschlüpft“). Felix Güßfeld schafft in in seinem Gedicht einen assoziativen Bildraum, der die Jury von seinem Text überzeugte.



Preistexte 2016 in der Kategorie Lyrikerinnen und Lyriker NRW: Jan Skudlarek

Laudatio zu Jan Skudlareks Gedicht „Im Rausch gegebene“

Das Gedicht „Im Rausch gegebene“ von Jan Skudlarek tritt uns in einem gewitzten und angenehm akademischen Habitus entgegen. „Das Narrativ“, „Aristoteleszitate“, „Panamapapiere“ zumindest scheinen „Fachwissen“ vorauszusetzen und dem Rezipienten die Bereitschaft abzuverlangen, sich auf Schilderungen einer partnerschaftlichen Beziehung im Modus ihrer intellektuellen Kontextualität einzulassen. Denn, so will es das Gedicht uns weismachen, es handelt sich um eine „Bettgeschichte“. Sie wird klassisch auf zwei Ebenen geschildert, Inhalt und Subtext: das „Narrativ“, bei dem sogar Wortspiele, wie die Verwandlung der Metaebene in ein Adjektiv Raum haben. Zur erwartbaren Ausstattung einer „Bettgeschichte“ gehören „Versprechen“, „Münder“, „Küsse“ und „Fingermuskeln“. Der Dreh zum größeren Thema

Preistexte 2016 in der Kategorie Lyrikerinnen und Lyriker NRW: Silke Andrea Schuemmer

Laudatio zu Silke Schuemmers Gedicht „IN  DER  PETRISCHALE  WIRD  ES FRÜHER TAG (20) – Engel“
Das Setting ist auf den ersten Blick klar: Silke Andrea Schuemmers Gedicht Aus: In der Petrischale wird es früher Tag (20) versetzt den Leser direkt in ein Labor. Gleichzeitig findet er aber auch Begriffe wie Engel, verweht, Erzürnte, die weder von der Bedeutung noch vom Stil her direkt mit einer nüchternen Laboratmosphäre in Verbindung gebracht werden können. Dazu gibt uns die Autorin Hinweise auf einen anderen Text: die erste der Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke. Während sich dort ein lyrisches Ich mit den Widersprüchen der conditio humana fragend, klagend, preisend und in immer neuen Reflexions- und Singbewegungen auseinandersetzt, spricht in diesem Gedicht ein wir. Es scheint menschlich zu sein, aber ist es schon Produkt eines Experiments oder noch dessen Ausgangsmaterial? Jedenfalls berichtet es von den Vorgängen im Labor und beschreibt sich selbst als absolut passiv. Das wir wird infiltriert (ähnlich dem Beimpfen einer Petrischale zum Erzeugen von Zellkulturen), geatmet, durchwandelt, verlassen und ist Transportvorgängen...

Preistexte 2016 in der Kategorie Lyrikerinnen und Lyriker NRW: Sebastian Polmans


















Laudatio zu Sebastian Polmans Gedicht „wie regen entsteht“
Sebastian Polmans Gedicht „wie regen entsteht“ ist dem weiten Feld der Naturlyrik zuzurechnen. Im Titel kündigt er an, dass er das Zustandekommen eines Phänomens dieser Welt ergründen oder sogar erklären wird. Wie auch sonst im Fall von Gedichten hat es dieser lyrische Versuch zur Erläuterung verborgener und komplexer Zusammenhänge jedoch in sich. Denn keinesfalls dürfen wir erwarten, dass uns das zu untersuchende Phänomen vermittels linearer Erklärungssprache nahegebracht wird. Das Gedicht, jedes Gedicht, wenn es wie dieses gelungen ist, schafft Verständniszugänge, die über eine kognitive Aneignung hinausgehen. ... Bitte unter Weiterlesen klicken

Preistexte 2016 in der Kategorie Lyrikerinnen und Lyriker NRW: Jürgen Brôcan

Laudatio zu Jürgen Brôcans Gedicht „fliehende Zimmer“

Beim Lesen der Gedichtüberschrift haben wir sofort eines der zahlreichen  Interieurs von Vilhelm Hammershøi vor Augen:  Ein Zimmer, leer bis auf wenige Gegenstände, niemand ist da, die Tür ist offen. Sie gibt den Blick frei in ein weiteres Zimmer, auch dort Leere, wieder eine offene Tür, durch die der nächste Raum sichtbar ist. Vielleicht sind es diese Räume in den Räumen, die sich wie Bilder in  Bildern vom Vordergrund entfernen und den Blick des Betrachters immer tiefer in das Gemälde und seine Stimmung aus Stille und Leere hineinziehen, was Jürgen Brôcan zu dem Titel fliehende zimmer inspirierte. Wie auf den Interieurgemälden des dänischen Malers scheint auch im Gedicht die Zeit stillzustehen. Es gibt keine Handlung. Spiegel werden aufgerufen, in denen sich ein paar wenige Möbel in ihrer Reglosigkeit treffen. Die Spiegelbilder öffnen zwar den Raum, verdoppeln jedoch nur die zu ihm gehörigen Dinge. Sie verstärken die meditative Stimmung des Gedichts, die schon am Anfang mit der Frage wovon träumen spiegel angelegt ist. Die Sprache ist einfach, zählt auf, was das Auge sieht. ...
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Preistexte postpoetry 2016 in der Kategorie „Lyrikerinnen und Lyriker NRW“: Ingeborg Brenner-Markner


Laudatio zu Ingeborg Brenne-Markners Gedicht „ohne gewicht“

Ein leichtes Gedicht hat Ingeborg Brenne-Markner geschrieben, „ohne gewicht“  und doch erinnerungsschwer und traumtief. Aus einer ländlichen Landschaft, aus Gärten, Mohn, Wiesen und Wegen führt sie uns nächtlich in „das dunkle gestrüpp der zimmer“. Die Natur scheint eingedrungen in die Zivilisation, die Geborgenheit im Inneren des Hauses dem Unbehaustsein gewichen. Und doch gibt es zwei Frauenfiguren, die dem Traum-Ich im dunklen Gestrüpp vielleicht Halt und Schutz bieten: „in der küche die großmutter“ und „in der stube die mutter“. Archaische Bilder, Märchenmotive tauchen auf, Erinnerung an ländliche Kindheit wird wach und die Großmutter ist eine Parze, die Fäden zu spinnen weiß und die Welt halten kann. Die Hoffnung auf die Mutter indes erweist sich als trügerisch, die Türen halten nicht mehr dicht, das Haus wird durchlässig und beängstigend kalt. Die „tage gehen“, die Nächte kommen, aber nach ihnen kommt auch immer wieder ein neuer Morgen und so wie Heine in seinen „Nachtgedanken“ den Morgen besingt („Gottlob! durch meine Fenster bricht/ Französisch heit‘res Tageslicht“), so verspricht auch hier der Morgen Hoffnung. 
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