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Freitag, 13. November 2015

Nachwuchspreisträger postpoetry.NRW

Sascha Nikolskyy wurde 1993 in Charkiv/Ukraine geboren. Im 10. Lebensjahr siedelte er mit seiner Familie nach Deutschland über, wo er heute in Bonn lebt und Mathematik studiert. Seit seinem 18. Lebensjahr konzentriert er sich auf das Schreiben von hauptsächlich lyrischen Texten.  

















Laudatio der jungen Jury
Das lyrische Ich im Gedicht von Sascha Nikolskyy durchlebt 11 Jahre lang einen außergewöhnlichen Zustand. Dieser ist einerseits geprägt durch das „kilometerweite“ Aufreißen des Mundes, andererseits durch das Vergessen des Gesagten und schließlich durch das Schweigen. An nichts kann es sich orientieren als am „Jahresflug der Vögel“. Das Verstehen ist belastet von „Beleidigungen“, die es hört, und seine Zunge sind „Bordsteine, die Umgrenzungen“ setzen. Der Wahrnehmungszustand des Hörens („meine Ohren waren Muscheln (…) waren Kleiderbügel für den Mantel der Erde“), und des Versuchs, „richtig zu riechen“, führen zu einem allumfassenden Vergessen, zum Schweigen, ja zum Verlust der eigenen Identität („ich war keiner“).
Zwanghaft tritt ein Prozess der Retardierung ein („ich konnte nicht umhin um mich aus allen Öffnungen herauszuzögern“). Dann jedoch scheint das lyrische Ich sich einer Selbstoperation zu unterziehen, sich bewusst eine Haltung implantieren zu wollen. Waren es zu Beginn des Gedichtes die Vögel, die mit ihrem Jahresflug Orientierung gaben, so nennt sich der Protagonist des Textes am Ende selbst einen Vogel. Ob der Verfasser des Textes mit diesem Symbol Freiheit und Ungebundenheit assoziiert, oder nun selbst zu einem, bzw. seinem Orientierungspunkt geworden ist,  bleibt offen.
Sascha Nikolskyy gelingt es in einem surrealen Bildraum, den Zustand einer 11 jährigen Kommunikations- und Sprachunfähigkeit, ja tiefsten Verstörung darzustellen, der jedoch durch eine bewusste Änderung der eigenen Haltung am Ende auf eine neue Ebene gehoben und möglicherweise aufgelöst werden kann.  Er greift damit ein höchst aktuelles Thema auf und geht der Frage nach, welche Traumata die Zuwanderung in einen zunächst völlig fremden Sprachraum verursachen kann.   

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